B. R. Jenny u.a. (Hrsg.): Die Amerbachkorrespondenz

Titel
Die Amerbachkorrespondenz. Die Briefe aus den Jahren 1559–1562


Herausgeber
Jenny, Beat Rudolf; Ueli, Dill; Lorenz, Heiligensetzer; Reinhard, Bodenmann
Reihe
Amerbachkorrespondenz XI
Erschienen
Basel 2010: Verlag der Universitätsbibliothek
Anzahl Seiten
1257 S.
Preis
URL
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Rudolf Gamper

Die Gelehrtenfamilie der Amerbach bewahrte im ausgehenden 15. und im 16. Jahrhundert grosse Teile ihrer Korrespondenz auf; die Briefsammlung bildet eine Fundgrube für die Gelehrtengeschichte der international vernetzten Universitäts- und Druckerstadt Basel zu Beginn der Neuzeit, enthält aber auch Schreiben aus dem familiären Umfeld sowie aus der amtlichen Tätigkeit. Die auf elf Bände angewachsene Edition beginnt mit Johann Amerbach, der sich 1475 als Drucker in Basel niederliess, und schliesst mit dem Tod seines jüngsten Sohnes, des Juristen, Professors und Basler Stadtadvokaten Bonifacius Amerbach (1562). Der von Beat Rudolf Jenny und mehreren Mitherausgebern betreute Doppelband XI bildet den Abschluss der Briefedition; eine Fortsetzung mit der Korrespondenz von Basilius († 1591), des Enkels von Johann Amerbach, ist nicht vorgesehen.

Der Band enthält 356 an Bonfacius Amerbach und seinen Sohn Basilius gerichtete oder von ihnen verfasste Briefe aus den Jahren 1559–1562 (Nr. 4379–4734 der Gesamtedition); dazu kommen zahlreiche weitere aus der Zeit nach 1562, die im Vollabdruck oder als Regesten in den Kommentar eingearbeitet sind. Die Breite und die Vielfalt der behandelten Themen sind beeindruckend: Neben der lateinischen Gelehrtenkorrespondenz Bonifacius Amerbachs finden sich deutschsprachige Familienbriefe, juristische Gutachten, geistreiche studentische Frivolitäten der Freunde von Basilius Amerbach, Stipendiengesuche an Bonfacius als Verwalter der Erasmusstiftung, die Stipendien an Basler Studenten vergab, usw. Die kürzesten umfassen wenige Zeilen, der längste ist ein Verswerk von 815 Zeilen (S. 721–741). Die Briefe sind vollständig ediert und mit Textanmerkungen versehen, in denen auch Lesungen in den unübersichtlichen Briefkonzepten begründet werden. Vor der buchstabengetreuen Transkription wird jeweils das Original kurz beschrieben, die Datierung erläutert, der Schreiber bzw. die Schreiberin und der Adressat identifiziert, auf die Transkription folgen die Textund Sachanmerkungen.

Im Zentrum steht Bonifacius Amerbach, an den zwei Drittel der Briefe adressiert sind, ein Viertel der Briefe ist an den Sohn Basilius gerichtet. Ein inhaltlicher Schwerpunkt fehlt. Der Kommentar trägt dieser Tatsache Rechnung, indem er jeden einzelnen Brief inhaltlich situiert, sowohl hinsichtlich der beteiligten Personen als auch hinsichtlich der angesprochenen Sachthemen. Die biographischen Erläuterungen und die Sachkommentare übertreffen die edierten Brieftexte im Umfang um ein Mehrfaches.

Die Biographien der Briefschreiber und anderer erwähnter Personen beruhen nicht allein auf der Auswertung und kritischen Bewertung der Forschungsliteratur, sondern schliessen eine akribische Aufarbeitung archivalischer Quellen mit ein; sie stellen personengeschichtliche Grundlagenforschung dar für eine Zeit, die vergleichsweise schlechterschlossen ist. Oft verselbständigen sich die Biographien stark gegenüber den edierten Texten und werden zu mehrseitigen Abhandlungen, die jeweils auch das familiäre und berufliche Umfeld beleuchten. Der Doppelband enthält Dutzende derartiger Biographien, dazu kommen Rückverweise auf Biographien in früheren Bänden, von denen viele zum Teil umfangreiche Ergänzungen erfahren. Die Briefedition wird damit zu einem biographischen Nachschlagewerk für Personen, die mit der Familie Amerbach in Kontakt standen oder brieflich Gesuche für Stipendien einreichten. Unter Letzteren sticht ein Johannes Hägelin hervor, der als Pfarrer und Schulmeister «ein von Unstetigkeit und mangelnder beruflicher Kontinuität geprägtes Leben» führte (S. 85–93). Die Biographien zeichnen sich durch grosse Zuverlässigkeit aus, enthalten aber bisweilen eigenwillige Charakterisierungen. Die Briefe des Schwagers Alban Fuchs seien gekennzeichnet von einer «über zwei Jahrzehnte hinweg fast unveränderten spröden Formelhaftigkeit und häufigen Fehlerhaftigkeit», woraus «auf dessen wenig entwicklungsfähige und undifferenzierte Persönlichkeit» geschlossen wird (S. 106). Die Konzepte des Sohns Basilius zeigten «eine fundamentale angeborene, allenfalls vom übermächtigen Vater ererbte und als professionelle Deformation zu bezeichnende Schwäche des Basilius, dass er nicht imstande war, ein inhaltlich einfaches, unproblematisches, auch formal anspruchsloses Dankesbrieflein in einem Zug zu konzipieren, ganz zu schweigen von einer spontanen Ausfertigung» (S. 1109).

Der Sachkommentar geht bei zentralen Themen ebenfalls weit über die Erklärung der Sachverhalte hinaus. So gibt die von den Basler Druckern Froben/ Episcopius veranlasste Adressierung der Widmungsepistel von Gesners grosser Galenausgabe (1562) an Basilius Amerbach – um nur ein Beispiel herauszugreifen – Gelegenheit, die Entstehungs- und Druckgeschichte der Galenausgabe minutiös nachzuzeichnen (S. 974–994). Der Zugang zu den in den Briefen angesprochenen Themen ist schwierig. Auf Kopfregesten, die in den meisten Editionen von Briefen des 16. Jahrhunderts eine erste Orientierung über den Inhalt ermöglichen, wurde leider seit dem ersten Band der Amerbachkorrespondenz von 1942 verzichtet. Eine Orientierungshilfe bieten drei im Register der Personen- und Ortsnamen eingefügte Lemmata, die anstelle eines Sachregisters eine ausführliche Zusammenstellung der behandelten Themen bieten: Basilius Amerbach (S. 1173–1178), Bonifacius Amerbach (S. 1178–1185) und Basel (S. 1189–1197); sie ist aber wenig übersichtlich. Die Personen und Orte sind dagegen über die Register gutauffindbar. Die «Amerbachkorrespondenz» ist somit weit mehr als eine kommentierte Briefedition: Sie ist eine auf langjähriger Vertrautheit Beat Rudolf Jennys mit dem Amerbachnachlass beruhende, umfassende Aufbereitung des Quellenmaterials rund um die Korrespondenz der Familie Amerbach.

Zitierweise:
Rudolf Gamper: Rezension zu: Die Amerbachkorrespondenz, XI. Band: Die Briefe aus den Jahren 1559–1562. Hg. von Beat Rudolf Jenny, Ueli Dill, Lorenz Heiligensetzer und Reinhard Bodenmann. Basel, Verlag der Universitätsbibliothek, 2010. Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Geschichte Vol. 63 Nr. 2, 2013, S. 288-289.

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Zuerst veröffentlicht in

Schweizerische Zeitschrift für Geschichte Vol. 63 Nr. 2, 2013, S. 288-289.

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